J. Westemeier (Hrsg.): »So war der deutsche Landser...«

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Titel
"So war der deutsche Landser...". Das populäre Bild der Wehrmacht


Herausgeber
Westemeier, Jens
Reihe
Krieg in der Geschichte 101
Erschienen
Paderborn 2019: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
VIII, 361 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Joachim Hahn, Zentrum für Jüdische Studien, Universität Basel

Der facettenreiche Band „So war der deutsche Landser…“, der eine Reihe populärer Medienformate wie Spielfilme, „Landser“-Hefte, Darstellungen von Hobbyhistoriker/innen, Museumspräsentationen und andere Formate bis hin zu den Neuen Medien von der NS-Zeit bis heute auf Inszenierungen und Instrumentalisierungen der „Faszination Wehrmacht“ untersucht und auch einen Text zur „Entpolitisierung von Militärmusik“ enthält, geht auf die Beiträge eines Workshops zurück, der vom Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. im Juli 2016 an der Internationalen Jugendbibliothek in München organisiert wurde (S. 351).1 Titelgebend für die Konferenz und das Buch ist der am 25. März 1955 in über 50 Kinos der Bundesrepublik Deutschland angelaufene, abendfüllende Dokumentarfilm, der von der Göttinger Arca-Film produziert wurde, hinter der wiederum der ehemalige Wehrmachtsoffizier Gero Wecker (1923–1974) stand. Der bis heute als DVD im Handel erhältliche Film transportiere, so der Sammelband-Herausgeber Jens Westemeier, eine „eindeutige Botschaft“: Professionell, ehrenhaft und anständig habe der deutsche Soldat gekämpft, während er vom NS-Regime betrogen worden und den als übermächtig apostrophierten Feinden am Ende unterlegen sei (S. 4). Dieser von der damaligen Bundesregierung keineswegs begrüßte Film, der den Holocaust ebenso wie den Vernichtungskrieg der Wehrmacht aussparte und zugleich „die auf Kriegspropaganda ausgerichtete Bildästhetik und Montagestruktur der NS-Wochenschauen“ übernahm (ebd.), zielte darauf ab, die „Ehre“ des Soldaten wiederherzustellen. Charakteristisch für diese Produktion wie für zahlreiche andere populäre Darstellungsformen zur Wehrmacht war die maßgebliche Mitwirkung von Veteranen.

Bis heute entstehen Filme, die ein entlastendes, beschönigendes Bild zeichnen. Im Januar 2020 zeigte das ZDF eine achtteilige Neuauflage der Anfang der 1980er-Jahre extrem erfolgreichen TV-Verfilmung „Das Boot“ nach Motiven von Lothar-Günther Buchheim. Unter dem sarkastischen Titel „Auch Deutsche unter den Tätern“ kritisierte der „ZEIT“-Autor Lars Weisbrod das revisionistische Geschichtsbild dieser internationalen Produktion, die von der Bavaria Fiction (unter Beteiligung des ZDF), Sky Deutschland sowie der US-amerikanischen Sonar Entertainment stammt. (Eine zweite Staffel soll bei Sky ab Ende April 2020 laufen.) Eine Episode des Spielfilms: 1942 wird die Besatzung eines deutschen U-Boots mit einer Geheimmission betraut. Sie soll den jungen US-Amerikaner und Geschäftsmann Samuel Greenwood an Bord nehmen und gegen einen Gefangenen austauschen. Bei der Übergabe erklärt Greenwood der U-Boot-Besatzung, warum seine Familie so gute Beziehungen zu den Nazis pflege: weil sie nämlich für jeden investierten US-Dollar von „Adolf“ 50 zurückerhalte. Zu dieser hanebüchenen Vorstellung, die amerikanische Firmen als Gewinnler im Zweiten Weltkrieg darstellt und die U-Boot-Soldaten zu Opfern macht, gesellt sich das bewusst inszenierte „Spiel“, ob es sich bei dem jungen Amerikaner, der von sich selbst angibt, er sei presbyterianisch erzogen worden, um einen Juden handle. Zu Recht fragt sich Weisbrod, welche Geschichtspolitik hier bedient werde, „wenn es [das heißt das Drehbuch] die Wahnidee von der jüdischen Weltverschwörung erst füttert, dann halbherzig entkräftet, um schließlich Verschwörungstheorien weiter zu bedienen“.2

Tatsächlich steht die aktuelle Fernsehproduktion in einer langen, wenn auch nicht bruchlosen Kontinuitätslinie von Darstellungen zum deutschen U-Boot-Krieg, die neben anderen Verklärungen der Wehrmachtssoldaten, aber auch der SS-Panzerdivisionen oder der Reiter-SS das „populäre“ Bild der Wehrmacht ausmachen. So eröffnet Daniel Uziel seinen Beitrag mit der These, dass die 2016 bereits angekündigte TV-Serie „Das Boot“ im Grunde der von der NS-Propaganda entworfenen Darstellung des U-Boot-Kriegs folge (S. 227). Die Fortschreibung nationalsozialistischer Erzählmuster durch Mitglieder der früheren Propagandakompanien (PK) habe ebenso maßgeblich das Nachkriegsbild von diesem Teil der Wehrmacht geprägt wie der Marineoffizier Karl Dönitz, der auch NSDAP-Mitglied war (S. 245). Interessanterweise argumentiert Uziel zugleich, dass es mit Buchheim und seinem Roman „Das Boot“ ausgerechnet einem Angehörigen einer Marinepropagandakompanie gelungen sei, das NS-Narrativ vom U-Boot-Krieg immerhin insofern zu durchbrechen, als vor allem die völlig unheroische, stumpfsinnige Seite des Einsatzes auf U-Booten gezeigt wurde. Allerdings wurden auch Buchheims Roman und seine Verfilmung seinerzeit kritisiert.

Das breite Bedürfnis nach einer Idealisierung der Wehrmacht, an deren „Mythos“ diverse Akteure mitstrickten und teilweise bis heute basteln, lässt sich rein quantitativ an der großen Zahl von geschätzten 18,2 Millionen Soldaten (Westemeier, S. 6) festmachen, die zeitweilig in der Wehrmacht dienten und zumindest mittelbar Interesse an einer „positiven Sinngebung“ der Organisation gehabt hätten (S. 35f., dortige Hervorhebung). Florian J. Schreiner nimmt an, dass die Mehrzahl der Multiplikatoren des „Sauberkeits-Mythos“, also der Vorstellung einer an Kriegsverbrechen und Holocaust unbeteiligten „sauberen“ Wehrmacht, den zwischen 1920 und 1928 geborenen Jahrgängen angehörte, die ihre „mythenhafte Narration“ im Familiengedächtnis weitergereicht hätten, was sich in der „breite[n] Empörung“ gegen die von 1995 bis 1999 gezeigte Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ schließlich Bahn brach (S. 36).

Der Beitrag von Hannes Heer, der diese erste vom Hamburger Institut für Sozialforschung realisierte „Wehrmachtsausstellung“ im Vorfeld des Jahres 1995 konzipierte und nun nach über 20 Jahren zurückblickt, erinnert an die Widerstände, die gegen eine kritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wehrmacht und gegen die Ausstellungsmacher noch Mitte der 1990er-Jahre mobilisiert werden konnten. Den Grund „für die emotionale, unsachliche und bisweilen hasserfüllte Abwehr der Ausstellung“, ebenso aber auch für eine von ihr ausgelöste Erleichterung, sieht Heer in einem jahrzehntelangen Verschweigen der Wehrmachtsverbrechen im öffentlichen Diskurs und zugleich im privaten Familiengedächtnis (S. 89). Mit drei größeren Fallbeispielen habe die Ausstellung „die aktive Beteiligung der Wehrmacht an der millionenfachen Ermordung von Kriegsgefangenen, Juden und anderen Zivilisten“ aufgezeigt (S. 85). Heer rekonstruiert in seinem Rückblick auch die Umstände, die 1999 zum vorläufigen Ende und bald darauf zur Neukonzeption der Ausstellung führten: Er spricht von „einer offensichtlich konzertierten Aktion“ (S. 93), bei der Anfang Oktober 1999 zeitgleich in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, damals noch unter der Leitung von Horst Möller, sowie in „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“, dem Organ der deutschen Geschichtsdidaktik, zwei gegen die Ausstellung gerichtete Aufsätze von Bogdan Musial und Krisztián Ungváry erschienen. Daraufhin zog der Hamburger Institutsdirektor und Mäzen Jan Philipp Reemtsma die Präsentation zurück.

Dass es damit zwei Fachjournale waren, die zu einer Absetzung der kritischen „Wehrmachtsausstellung“ beitrugen, und gerade keine populärkulturellen Darstellungen, verdient hier besondere Erwähnung. Denn wenn es etwas an dieser verdienstvollen Publikation auszusetzen gibt, die auf den neuesten zeitgeschichtlichen Forschungen zur Wehrmacht basiert, dann ist es die weitgehende Absenz theoretischer Beiträge zum Populären. So hat es im Einleitungsbeitrag des Herausgebers Westemeier den Anschein, als sei insbesondere die Populärkultur für die ideologischen Verzeichnungen verantwortlich. Nur die wenigsten Beiträge setzen sich eingehender mit der Ästhetik populärkultureller Darstellungen auseinander. Hervorzuheben ist hier unter anderem die aufschlussreiche Analyse des Wuppertaler Literaturwissenschaftlers Matías Martínez, der die Ästhetik und Serialität der bis heute kaum erforschten „Landser“-Hefte untersucht. Deren Erzählanlage bezeichnet er als paradox, weil sie sich einerseits „intratextuell in einem referenziellen Modus als faktuale Wirklichkeitserzählungen“ inszenierten, „die historische Referenz und dokumentarische Authentizität beanspruchen“, andererseits aber ihre Plots „in einem mimetischen Modus“ erzählt würden, der für fiktionales, insbesondere schemagebundenes Erzählen charakteristisch sei (S. 119, dortige Hervorhebungen).

Auch wenn weitergehende Klärungsversuche zum Gegenstand des Populären wünschenswert gewesen wären, handelt es sich gleichwohl um eine grundlegende Veröffentlichung zum populären Bild der Wehrmacht, die eine beeindruckende Fülle von Aspekten behandelt. Dem Band gelingt es, vielschichtige Einblicke in die Konstruktion und Tradierung der Wehrmacht als einer „unbelasteten“ Massenorganisation zu geben – ein Narrativ, das unter Beteiligung vieler ehemaliger Nationalsozialisten bereits seit 1945/46 entstand und erst Mitte der 1990er-Jahre öffentlichkeitswirksam infrage gestellt wurde. Esther-Julia Howells sehr gelungener Aufsatz veranschaulicht exemplarisch, wie ausgerechnet ein ehemaliger Chef des Generalstabs des Heeres (1938–1942), der Generaloberst Franz Halder, der maßgeblich „bei der Planung und Verwirklichung des nationalsozialistischen Angriffs-, Eroberungs- und Vernichtungskriegs“ beteiligt gewesen war (S. 42), das Bild der Wehrmacht nach Kriegsende massiv prägen konnte.3

Anmerkungen:
1 Siehe auch den Tagungsbericht von Laura Notheisen, in: H-Soz-Kult, 31.01.2017, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6959 (22.02.2020).
2 Lars Weisbrod, Auch Deutsche unter den Tätern. Das ZDF zeigt die Neuauflage von „Das Boot“. In der Serie soll der amerikanische Kapitalismus Schuld am Zweiten Weltkrieg sein. Was ist nur in die Fernsehmacher gefahren?, in: ZEIT, 27.12.2019, S. 51. Vgl. auch die Website zum Film: https://www.sky.de/serien/das-boot-154535 (22.02.2020).
3 Siehe auch Jens Brüggemann, Männer von Ehre? Die Wehrmachtgeneralität im Nürnberger Prozess 1945/46. Zur Entstehung einer Legende, Paderborn 2018; rezensiert von John Zimmermann, in: H-Soz-Kult, 04.06.2019, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-27421 (22.02.2020).